Reisetagebuch

Eine Dampflokomotive in Galesburg

Umsteigen in den "California Zephyr"

Springfield, Illinois - Nach neun Uhr morgens hält der Texas Eagle im kleinen Bahnhof von Springfield. Hier muss ich umsteigen, denn ich will ja nicht wieder mit dem Texas Eagle zurück nach Chicago fahren, sondern nach Westen an den Pazifik. Hier wird mir zum ersten Mal klar, dass der Fernverkehr mit dem Zug in den USA kein integriertes, zusammenhängendes Netzwerk ist, sondern aus mehreren Einzelstrecken besteht, die untereinander oft nur an ihren Endpunkten eine Verbindung zueinander haben. Mein nächster Zug ist nämlich der California Zephyr, der zwischen Chicago und Sacramento an der kalifornischen Pazifikküste verkehrt. Also müsste ich ganz bis nach Chicago zurückfahren, um dort dann nach einem Tag Aufenthalt umzusteigen.  

Transferbus in Springfield

Damit ich das nicht aufnehmen muss, steige ich schon hier in Springfield aus, um von hier dem California Zephyr, der schon in Chicago losgefahren ist, unterwegs den Weg abzuschneiden. Das habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern ist das normale Umsteigeverfahren der US-Personenzuggesellschaft Amtrak. Ein roter Minibus steht vor dem Bahnhofsgebäude bereit, um die Handvoll Passagiere, die mit mir umsteigen, gute zwei Stunden in das kleine Städtchen Galesburg zu fahren, das an der Strecke der California Zephyr-Linie liegt. Es ist eine heitere kleine Reisegruppe und auf der Fahrt wird viel gelacht. In Galesburg angekommen muss ich dann dort noch drei Stunden am Bahnhof warten. Es ist eine kleine Bahnhofsstation, die im Inneren aussieht, wie vor 100 Jahren. Sitzbänke und ein Fahrkartenschalter aus glänzendem Holz. Doch hinter der Scheibe steht natürlich ein Computer, an dem ein Bahnmitarbeiter in Uniform sitzt. Ihn frage ich, ob es eine Möglichkeit gibt, meinen Koffer aufzugeben, damit ich ihn nicht bis Seattle beim Ein- und Aussteigen immer Rumwuchten muss. Das sei kein Problem, antwortet mir der Amtrak-Mitarbeiter und fragt: „Wohin fahren Sie, Sacramento oder Seattle?“ – „Seattle“ antworte ich und der Bahnangestellte füllt ein Kärtchen an und befestigt es an meinem Koffer, den er auf einen Wagen lädt. „Wollen sie überhaupt nicht meinen Namen wissen“, frage ich ihn. „Du bist doch Jessica, erwidert er leichthin. Es fahren steigen hier nur zwei Personen zu. Die andere fährt nach Sacramento, deswegen bist du Jessica.“ Von dieser Auffassungsgabe bin ich mehr als verblüfft. So viel Entgegenkommen würde ich mir am Schalter der Deutschen Bahn auch mal wünschen. Aber wer klärt seine Anliegen bei uns noch am Schalter der Bahn, wenn es überhaupt einen gibt. Da muss das Kind schon in den Brunnen gefallen sein.

Quittung für mein aufegegebenes Gepäck

So bin ich also befreit von der Last meines Hauptgepäcks und setze mich mit einer Dose „Chicken Jambalaya“ vor den Bahnhof in die Sonne. Diese kleine Dose kreolischer Eintopf wird meine einzige Mahlzeit heute sein, denn ich muss meinen Reiseproviant rationieren. Natürlich könnte ich mich auch im Bordbistro versorgen. Aber dort gibt es nur Süßes und Snacks, im Speisewagen kostet ein Abendessen 40 Dollar. Ich versuche es deshalb sportlich zu nehmen und mit mit meinem mitgebrachten Proviant auszukommen. Auf meinem Roadtrip durch Texas in den letzten Folgen bin ich von einem Burger-Laden zum anderen gefahren. Da schadet es nichts, wenn ich mal für ein paar Tage den Gürtel enger schnalle. In meinen Rucksack hat nur ein begrenzte Menge an Nahrung und Wasser reingepasst. Mit meinem in der letzten Folge 29 erworbenen Spork löffele ich das Fertiggericht. Ein Spork ist auf der einen Seite ein spoon, also ein Löffel, und auf der anderen Seite eine fork, also Gabel. Ein bescheidenes Stück Campingausrüstung, das mir in den kommenden Tagen treuer Begleiter sein muss. Am Pazifik wird auf jeden Fall eine schlankere Version meiner selbst ankommen. Als Proviant für die Reisewoche von San Antonio nach Seattle habe ich pro Tag 2,5 Liter Wasser aber weniger als 1000 Kalorien zu Essen dabei. Mehr war einfach nicht "tragbar".

Mein Spork neben einer Konservendose

 

Ich schlendere noch etwas den Bahnsteig von Galesburg hinab, wo eine gewaltige Dampflokomotive steht aus den Zeiten, als diese Strecke die Lebensader zwischen Chicago an den großen Seen und der Pazifikküste war. Dann höre ich auch das Leuten der Bahnschranken, die sich für den einfahrenden California Zephyr schließen. Neben der Tür zum Waggon steht wieder wie üblich die Schaffnerin, der ich meinen Namen sage, woraufhin sie mir meine papierne Sitzplatzkarte gibt. Nur jede zweite Reihe ist besetzt und es wird sicherlich eine entspannte Fahrt in den nächsten beiden Tagen. Ich richte mich häuslich auf meinem Sitzplatz ein und der Zug fährt auch schon an.

Überquerung des Mississippi nach Iowa

Durch 11 US-Bundestaaten bin ich auf meiner Coast2Coast-Roundup-reise durch Nordamerika bereits gekommen. Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New York, Pennsylvania, Ohio, Indiana, Illinois, Missouri, Arkansas und Texas. Weil ich ja einen Teil der Strecke Richtung Chicago wieder zurückgefahren bin, habe ich einige davon sogar schon zweimal durchquert. Doch nun betrete ich endlich Neuland und schon nach einer Stunde Fahrt überquere ich zum dritten Mal auf dieser Reise den Mississippi und damit die Staatsgrenze zu Iowa. Dann bricht die Dämmerung herein. Draußen ist es sommerlich warm, doch im klimatisierten Zug ist es wie auf allen anderen Fahrten so kalt wie in einem Kühlschrank. Ich habe mir in Texas extra einen zusätzlichen Pullover gekauft unter den ich auch noch die Softshell-Hülle meines Laptops als isolierende Schicht stecke. Trotzdem friere ich die ganze Nacht hindurch, während der Zug nun durch das dünn besiedelte Nebraska fährt.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.