Als ich heute Morgen aufwache, hat unser Texas Eagle-Zug Texas schon hinter sich gelassen und wir sind im Begriff auch schon aus Missouri rauszufahren. Gerade kommen wir in St. Louis an und überqueren dort den Mississippi hinüber nach Illinois. Diese Strecke bin ich schon einmal gefahren auf dem Hinweg nach Fort Worth. Es ließ sich nicht anders machen, als die gleiche Strecke ein Stück zurückzufahren, um an den Pazifik zu kommen. Immerhin muss ich nicht ganz zurück nach Chicago, sondern nur bis nach Springfield in Illinois. Mein Zug ist mit zwei Stunden Verspätung in Fort Worth losgefahren. Meine Anschlussverbindung in Springfield hätte ich so verpasst. Aber über Nacht hat der Texas Eagle so viel Zeit wieder gut gemacht, dass ich in Springfield sogar noch eine Zeit habe, is es von dort weitergeht. Das schöne bei der Reise mit Amtrak ist, dass man nie sich selbst überlassen ist, sondern immer Personal da ist, das alle Reisenden zusammentrommelt und an den richtigen Abfahrtsteig führt. Man muss sich hier schon sehr dumm anstellen, um verloren zu gehen. Es gibt außerdem nicht viele Verbindungen, deswegen ist alles übersichtlicher als bei uns im deutschen Bahnverkehr.
Kurze Zwischenetappe auf dem Highway
Von Springfield und der Bahnlinie des Texas Eagle gibt es nur am Kopfbahnhof in Chicago die Möglichkeit direkt auf die Line des California Zephyr nach San Francisco umzusteigen. Die Alternative ist eine kurze Zwischenetappe mit dem Minivan von Springfield nach Galesburg mit zwei Stunden Fahrzeit.
Die Verknüpfung von Bahn und Bus klappt tadellos und wir sind vorübergehend eine kleine 9-köpfige Reisegruppe, die sich gemeinsam auf den Weg durch den Mittleren Westen nach Galesburg macht. Alle haben gute Laune und es wird viel gelacht. Der Fahrer regt an, dass wir alle mal einen Witz erzählen und legt gleich vor:
„Ein Ehepaar hat im Baseball-Stadium ein sehr teures Dauer-Abonnement für die besten Plätze auf der Tribüne. Beide sind große Fans der Mannschaft und haben noch nie ein Spiel verpasst. Doch am heutigen Spieltag ist der Platz neben dem Mann frei. Der Sitznachbar fragt, wo denn die Frau sei. „Die ist neulich gestorben“, erhält er als Antwort. Aber es ist doch schade um den guten Platz, sagt der Sitznachbar. „Gib es denn keine Kinder, Cousinen, Onkel, Tanten oder Schwiegersöhne und -töchter, die sich für Baseball interessieren. Der Mann antwortet: „Doch, aber die sind alle bei der Beerdigung.“
Glücklicherweise bleibt es bei dem einen Witz und niemand anderes fühlt sich bemüßigt, einen weiteren zu erzählen. So unterhält man sich noch ein bisschen über die Gegend und dann dösen alle etwas vor sich hin. Pünktlich kommen wir am Bahnhof in Galesburg an. Dort habe ich drei Stunden Aufenthalt, bis der California Zephyr-Zug von Chicago nach San Francisco dort Halt macht und ich zusteigen kann.
Wartehallen wie früher
Auch schön am Zugfahren mit der amerikanischen Eisenbahn sind die Wartehallen. Die sind makellos sauber und haben ausreichend klassische lackierte Holzbänke als Sitzgelegenheit. Es gibt einen Fahrkartenschalter, der auch im kleinen Galesburg, wo am Tag nur sechs Züge halten, mit zwei Mitarbeitern besetzt ist. Es gibt sogar ein Bücherregal, wo man Bücher kostenlos mitnehmen und selbst welche dalassen kann. Kostenloses WLAN gibt es natürlich auch. Die Toiletten sind sauber und kostenlos. Außerdem kann man sich an mehreren Automaten mit Snacks und Getränken versorgen. Ein riesiger Eimer Kaffee kostet hier nur 1 Dollar.
1000 Kalorien pro Tag als Proviant
Beeindruckt bin ich von der Hilfsbereitschaft des Schalterpersonals. Bei einer Lautsprecherdurchsage erfahre ich, dass man bis zu zwei Gepäckstücke am Schalter aufgeben kann, die dann im Gepäckwagen bis zu meiner Endstation mitfahren können. Von diesem Angebot mache ich gerne Gebrauch. Denn schon mein Handgepäck mit der Kühlbox, vollgepackt mit Wasserflaschen und Konservendosen, ist schwer genug. Es wäre eine große Erleichterung, wenn ich nicht noch den Koffer in den Zug und in das Gepäckregal wuchten müsste. „Sacramento oder Seattle“, fragt mich der Bahnmitarbeiter bei der Gepäckaufgabe. „Seattle ist mein Endziel“, antworte ich und er beginnt meinen Gepäckanhänger auszufüllen. „Brauchen Sie nicht einen Namen oder eine Fahrkarte von mir“, frage ich überrascht. Woher will der wissen, wem der Koffer gehört. „Du bist doch Jessica, oder? Du bist die Einzige, die nach Seattle fährt, deswegen konnte ich mir das denken“, sagt er wie selbstverständlich. Er schnappt sich denn Koffer und das wars. Ich bekomme eine Quittung und sehe dabei zu, wie der Koffer an den Bahnsteig gefahren zur Verladung wird.
Galesburg ist ein Bahnhof, der aus den ersten Tagen der amerikanischen Eisenbahn stammt. Abraham Lincoln war vor dem amerikanischen Bürgerkrieg hier. Eine alte Dampflok mit Tender und Waggons einer Museumsbahn kann besichtigt werden. Für mich gibt es hier noch ein Mittagessen aus meinen rationierten Konservendosenproviant. Chili-Maccaroni stehen heute auf dem Speiseplan. Überraschenderweise sind auch Kidneybohnen drin. Aber ein paar Proteine schaden nicht bei meiner ohnehin kargen Ernährung. Ich habe ausgerechnet, dass ich in dieser Reisewoche von San Antonio bis nach Seattle pro Tag zweieinhalb Liter Wasser aber weniger als 1000 Kalorien zu Essen zur Verfügung habe. Für so ein Hochleistungsgerät wie mich ist das sehr wenig Treibstoff. Aber in den letzten drei Tagen hat es gut funktioniert. Am Ende dieses Reiseabschnitts am Pazifik wird sicherlich eine deutliche schlankere Version meiner selbst ankommen.
Pünktlich fährt der California Zephyr am Bahnhof von Galesburg ein. Ich habe nur noch mein Handgepäck dorthin zu tragen. Der Schaffnerin sage ich beim Einsteigen, dass ich mit dem Rail Pass nach Seattle fahre und werde in den letzten Waggon geschickt. Dort bekomme ich beim Einsteigen einen Papierabschnitt, auf dem SAC steht. Den steckt man oben ans Gepäckfach. So sehen die Schaffner, wer wo aussteigen muss.
Mexikanische Golden Girls
Neben mir sitzen drei liebenswürdige mexikanische Golden Girls, die offensichtlich wissen, wie man mit dem Zug reist. Nebenbei plappert auf dem Handy mexikanisches Fernsehen während sie alle drei stricken und ab und zu gegenseitig ihre Maschen kontrollieren. Abends packen sie ihre mitgebrachten Nachos, Erdnüsse und Käsewürfel aus und zwitschern Weißwein aus dem Bordrestaurant. Obwohl alle nicht mehr die jüngsten sind, machen sie es sich unter den Sitzen auf dem Fußboden in einem Haufen Decken bequem. Das finde ich lustig und ziemlich gut, denn so habe ich auch für die Nacht den Platz neben mir zum Schlafen zur Verfügung. In Austin habe ich mir einen Pullover gekauft und ziehe den jetzt über meine Jacke an. Trotzdem ist es in der Nacht fast zu kalt, um zu schlafen. Um zehn Uhr abends an Bord schon Schlafenszeit und um halb elf schlafe ich auch schon ein. Mit einigen Unterbrechungen komme ich bis halb acht Uhr am Morgen auf ausreichend Schlaf. Es ist schon die zweite Nacht auf dieser Zugreise nach Seattle von Ost nach West, die ich so überstehe. Jede Nacht finde ich neue Tricks raus, wie ich mich gemütlich einrichte und warm bleibe.