Reisetagebuch

Ein Tag im Memelland

Ein Tag im Memelland

Endlich Wochenende. Bei den Arbeitseinsätzen des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge leistet man mitunter von Montag bis Freitag sehr anstrengende körperliche Arbeit. Belohnt wird das mit den Ausflügen in die Umgebung, bei der die Arbeit auf dem Friedhof in einen Zusammenhang zu der Umgebung und ihrer Geschichte gesetzt wird. Das Memelland ist voll von Geschichte. Heute durften wir eine Stunde länger schlafen und erst um 9 Uhr fuhr der Bus ab Richtung Süden.

Zunächst besuchten wir eine alte Bahnstation aus preußischer Zeit (lit. Priekulė, dt. Prökuls), die nicht mehr in Betrieb ist. Früher verlief hier entlang die Strecke Memel nach Tilsit. Demnächst soll sie zu einer Museumsbahn für Touristen ausgebaut werden. Weiter ging es in den Küstenort Dreverna. Hier steht und stand alles im Zeichen das Fischfangs. Ein großes Kombinat der Fischindustrie aus sowjetischer Zeit ist im Ort immer noch zu sehen, denn alle Fische, die damals im Kurischen Haff gefangen wurden, verarbeitete man hier. Es begann zu regnen, das erste Mal, seit wir hier sind, hörte aber bald wieder auf. Die Ostseelandschaft ist sehr ausgeprägt und vielleicht noch charakteristischer als an der deutschen oder polnischen Ostsee. Es gibt dort einen kleinen Aussichtsturm, den wir natürlich alle erklommen und über das Kurische Haff in Richtung Kurische Nehrung blickten.

Von dort fuhren wir weiter über den Kaiser-Wilhelm-Kanal nach Ventės ragas oder deutsch zum Windenburger Eck. Dort ist eine Vogelwarte eingerichtet und große Netze sind gespannt, um die Vögel einzufangen und zu beringen. In der Zeit der Ordensritter hatte man dort auch versucht eine Burg direkt am Ufer zu errichten. Doch der Bau war gescheitert, denn das Wasser spülte die Fundamente und schließlich die Burg weg, sodass heute nur noch ein Beton-Pier dorthin ausführt, wo ein viereckiges Quadrat in das Meer hineinbetoniert ist. Auch unser ortskundiger Kollege, der uns zu Allem in dieser Gegend etwas sagen konnte, wusste nicht, was es damit auf sich hat.

Wir fuhren weiter zum Mittagessen in den Ort Minė, wo uns angekündigt worden war, dass ein bescheidenes Mittagessen auf uns warten würde. In Wahrheit war es das beste Essen bisher. Fischsuppe zur Vorspeise und ein mit sehr viel Ei paniertes Schnitzel mit ordentlichem litauischen Salat als Beilage. Ich war sehr zufrieden und satt. Nach dem Essen bestiegen wir gar nicht erst den Bus, sondern ein Boot, mit dem wir den Fluss Minge oder litauisch Minija herunter fuhren in Richtung der Grenze zur russischen Enklave Kaliningrad. Unterwegs trafen wir auf ein Boot der litauischen Grenzpolizei die unseren Kapitän ansprach und fragte, was er mit uns vorhabe. Das machen Sie routinemäßig, denn derzeit sind die Beziehungen zu Russland natürlich extrem angespannt und es darf zu keinen Zwischenfällen kommen. Nun donnerte es und am Himmel zogen dunkle Gewitterwolken auf, deshalb fuhren wir nicht weiter, sondern drehten ab und fuhren wieder zurück. Mit dem Bus ging es dann weiter auf die einzige litauische Insel Rusnė im Memeldelta. Es regnete in Strömen, doch ich ließ es mir nicht nehmen bis zum Ufer zu laufen, um dort einen Blick auf den russischen Wachturm am anderen Ufer zu werfen. Vor dem grauen Himmel und im strömenden Regen verstärkte das meinen unwillkürlichen Eindruck, dass ein dieser Stelle nicht nur die Grenze Europas, sondern auch die der freien Welt erreicht sei.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.