Auf den Tag genau zwei Monate nach dem letzten bin ich gestern Nacht erneut zum Ziel eines homo- bzw. transfeindlichen Übergriffes geworden.
In diesem Jahr mittlerweile der dritte, wobei ich bei dem ersten in diesem Jahr nicht sagen kann, welchen Hintergrund er gehabt hat. In jedem Fall hat mich ein Mann nach Hause verfolgt und versucht mich im Hausflur zu überfallen, wobei ich glücklicherweise schnell genug geschaltet hatte und den Angriff abwehren konnte.
Der zweite Übergriff trug sich dann wie eingangs erwähnt Anfang Juni mitten auf der Konstablerwache zu, als ich dem Wunsch eines Mannes nach sexuellen Handlungen mit ihm nicht nachkommen wollte, woraufhin er versuchte mit roher Gewalt zum Ziel zu kommen. Die Möglichkeit, um Hilfe zu rufen bestand natürlich in den wenigen Momenten, in denen gerade nicht versucht wurde eine fremde Zunge in meinen Mund zu pressen.
Wer allerdings die Situation an der Konstablerwache nachts um zwei Uhr kennt, weiß, dass sich dort zum Teil eine polizeibekannte Klientel tummelt, für die die sexuelle Selbstbestimmung nicht nur ein Fremdwort sondern auch inhaltlich ohne Wert ist. Entsprechend ist es ein Vabanquespiel, bei dem Unklar ist, ob die Männer die dann kämen, dies wirklich zur Hilfe täten.
Mit diesem möglichen Ausgang vor Augen, zog ich dem Hilferuf die Flucht vor, wozu ich mich zunächst aus der beinahe metallischen Umklammerung des Angreifers lösen musste. Ziel der Flucht sollte das an der Ostzeil gelegene 1. Polizeirevier werden. Allerdings schnitt mir mein Verfolger bereits an der Kurt-Schumacher-Straße den Weg ab, so dass ich mich erneut aus seinem Griff winden musste um dann das Polizeirevier zu erreichen, an dessen Tür ich in meinem kopflosen Sprint zunächst vorbeirannt war.
Als man mir die Tür öffnete und ich die Verfolgungssituation schilderte wurde in diesem Zuge auch eine Strafanzeige erstellt, was wichtig ist. Denn ich selbst werbe ja in unseren LGBT*-Communities dafür homo- und transphobe Übergriffe der Polizei unter Hinweis auf einen homo- bzw. transfeindlichen Hintergrund zu melden, damit sie als solche dokumentiert werden.
Als ich dem die Anzeige bearbeitenden Beamten jedoch auf einen transfeindlichen Hintergrund hinwies und bat, den entsprechenden Vermerk im System der Polizei vorzunehmen, wies er daraufhin, dass es sich ja wohl kaum um einen transphoben Übergriff handeln könnte, weil es sich doch um sicherlich erzwungene aber doch wohl Zuneigungshandlungen gehandelt habe, weswegen eine Ablehnung meiner Person im Sinne von LGBT-Feindlichkeit doch kaum vorliegen könne.
Eine Diskussion über diese Fehleinschätzung hätte mich in meiner Verfassung zu sehr beschämt, so dass ich darauf verzichtete, was mich im Nachhinein natürlich sehr ärgert, weil so wieder eine Straftat gegen LGBT* undokumentiert geblieben ist.
Das Problem ist sicherlich, dass es Tätergruppen gibt, die eine uneindeutige Homosexuellen- und Trans*-Feindlichkeit in sich tragen. Ob hier kulturelle Zusammenhänge im Bezug auf ihre Herkunftsländer oder schlichtweg seelisch-charakterlich Verwerfungen ursächlich sind, spare ich an dieser Stelle einmal aus. Meine Beobachtungen und Erfahrungen diesbezüglich auch bei Übergriffen in den vergangenen Jahren sind aber eindeutig.
Es ist nämlich so, dass diese Männer zunächst beinahe beängstigend fixiert auf schwule Männer oder Transgender sind und leidenschaftliche und bald auch unmissverständliche Avancen machen. Wenn man dann allerdings ablehnt, schlägt diese Leidenschaft oft in sexualisierte Gewalt um, gepaart mit homo- und transfeindlichen Beschimpfungen.
Im Übrigen ist es für das davon betroffene Opfer in der Konsequenz egal, ob ihm aus Hass oder „Zuneigung“ Gewalt angetan wird.
Bestätigung für diese Analyse musste ich dann gestern Nacht erfahren, als ich auf dem Nachhauseweg von meinem Ehrenamtsdienst bei der Aidshilfe an der Konstablerwache von einem etwa 18-Jährigen in eindeutiger Absicht angesprochen wurde. Weil ich seiner Umwerbung keine besondere Beachtung schenkte, verfolgte er mich bis in die Altstadt, wo dann aber zum Glück noch einige Menschen auf der Straße waren, woraufhin er dann in Bedrohungen überwechselte und sich schließlich mit eindeutigen Beschimpfungen verabschiedete. Dass es hier zu keiner körperlichen Gewalt kam, ist den Sportschuhen geschuldet, die ich gestern trug und mit denen ich schneller Distanz aufbauen konnte als beim vorangegangenen Mal, als ich mit hohen Schuhen nicht sprintfähig war.
Auch diesen Vorfall habe ich gestern bei der Polizei angezeigt. Und ich will auch erklären warum: Zwar ist mir gestern Nacht kein körperlicher Schaden widerfahren, aber es ist auch nicht nichts passiert. Als LGBT* verzichten wir aber aus unterschiedlichen Gründen beinahe immer darauf, Übergriffe bei der Polizei anzuzeigen. Teils, weil es keine sichtbaren Verletzungen gegeben hat, teils, weil man froh ist der Situation entkommen zu sein oder nicht selten auch, weil es unangenehm ist, die Polizeibeamtinnen und –beamten über den eigenen schwul-lesbischen oder trans*-Hintergrund aufzuklären.
Aber genau deshalb besteht auch in der Statistik der Frankfurter Polizei im Bezug auf homo- und transphobe Straftaten ein eklatanter Widerspruch zwischen dokumentierten Straftaten und Realität. Denn die Statistik der Polizei weist für 2015 gerade mal sechs! LGBT*-feindliche Straftaten aus. Wer etwas in der Szene unterwegs ist und sich umhört, weiß, dass in Wahrheit sechs Straftaten dieser Qualität wenn nicht binnen einer Woche, dann aber sicherlich in einem Monat zusammen kommen.
Wenn wir also als LGBT* in Frankfurt mehr als drei sind, dann habe ich seit gestern meinen Jahresanteil an Übergriffen gehabt.
Natürlich sind Statistiken ohnehin nur bedingt aussagekräftig. Im Bezug auf die sogenannten Hate Crimes ist eine so große Diskrepanz von Erfassung und Tatsache aber vor allem deshalb gefährlich, weil sie der Gesamtgesellschaft (und auch LGBT* selbst) eine Harmlosigkeit der Lage von Lesben, Schwulen und Transgendern signalisiert, die es in Wahrheit aber nicht gibt. Ganz bestimmt sind nämlich nicht alle LGBT* von solchen Übergriffen betroffen, manche nie. Die eigene Exposition spielt hierbei sicherlich eine Rolle, darf natürlich aber auf keinen Fall ein Grund sein und selbstverständlich nie eine Rechtfertigung für solche Angriffe.
Nicht nur wir selber brauchen halbwegs richtige Tendenzen in den Polizeistatistiken, um klar zu machen, dass noch lange nicht alles gut ist. Auch die Polizei selber ist auf Anzeigen von homo- und transfeindlichen Straftaten angewiesen, um einen Überblick über die Lage und Schwerpunkte zu bekommen und die nötigen präventiven Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Die Hamburger Polizei ist diesbezüglich mit ihrer Kampagne „Zeig es an!“ bereits aktiv geworden, mit der sie sich des Problems der verbalen und körperlichen Gewalt annimmt.
Auch in Frankfurt plane ich eine vergleichbare Aktion zusammen mit der Frankfurter Polizei zum internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie im kommenden Jahr. Die ersten Vorgespräche dazu haben bereits stattgefunden.
Bis dahin ist es aber wichtig, auch ohne größere Kampagne in Gesprächen darauf hinzuweisen, dass Übergriffe gegen Lesben, Schwule und Transgender in Frankfurt immer noch mehr Regel als Ausnahme sind.